Ein Pülverchen hier, eine Tablette da: Weshalb das selten der richtige Weg ist
- Thomas Lauber

- 31. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Die Versuchung der schnellen Lösung
Hast du auf Instagram auch schon diese Wunder-Gummibärchen oder perfekt inszenierten Shaker gesehen? Meist präsentiert von makellosen Menschen, die behaupten, ihre Energie, Ausgeglichenheit oder Gesundheit kämen aus einem grünen Drink, der angeblich alles kann: Stress senken, Schlaf verbessern, das Immunsystem stärken oder einfach nur ihr Leben aufs nächste Level heben. Ein Löffel Pulver am Morgen, und das Leben läuft rund. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Genau das ist es auch.
Der Mythos vom magischen Pulver
In einer Welt, in der wir alles optimieren wollen, vom Schlaf bis zum Health-Score auf unserer Smartwatch, ist es verlockend, die Abkürzung nehmen zu wollen. Doch unser Körper funktioniert nicht wie ein Smartphone, das man per Knopfdruck updated. Gesundheit, Konzentrationsfähigkeit und Resilienz sind keine Produkte, die man einfach einnehmen kann. Sie sind das Ergebnis komplexer biologischer, psychologischer und sozialer Prozesse. Diese lassen sich nicht in ein Pülverchen giessen.
Zahlreiche Studien zeigen, dass der Nutzen solcher Präparate oft überbewertet wird. Aussagen werden dabei häufig aus dem Zusammenhang gerissen, um gewünschte Botschaften zu stützen. Viele dieser sogenannten „Studien“ halten einer wissenschaftlichen Überprüfung kaum stand. Der WDR-Podcast Quarks Science Cops analysiert solche Fälle regelmässig. Ein empfehlenswerter Hörtipp für alle, die solchen Versprechen kritisch begegnen und sich dabei köstlich unterhalten lassen möchten. Wer tatsächlich unter einem Mangel leidet, etwa an Vitamin D, B12 oder Magnesium, kann von gezielter Supplementierung profitieren. Doch die Vorstellung, das Nervensystem mit ein paar Pflanzenextrakten ins Gleichgewicht zu bringen, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Der Effekt ist meist Placebo. Er ist zwar real, aber nicht das, was versprochen wird.
Symptome bekämpfen oder Ursachen verstehen?
Wenn wir müde, gestresst oder unkonzentriert sind, hat das fast immer Ursachen, die tiefer liegen: Schlafmangel, Bewegungsdefizit, schlechte Ernährung, zu viel Bildschirmzeit oder chronische Überlastung. Ein Supplement kann diese Ursachen nicht beheben, sondern sie höchstens kurzfristig kaschieren. Wer abends mit kreisenden Gedanken im Bett liegt, braucht nicht mehr Magnesium, sondern weniger Dauerbeschallung. Wer morgens erschöpft aufwacht, profitiert kaum von Ashwagandha, sondern von einem regelmässigen Schlafrhythmus, Licht am Morgen und einfachen Routinen.
Das Prinzip ist einfach. Symptome zu bekämpfen bringt kurzfristige Erleichterung, aber keine nachhaltige Veränderung. Ursachen verstehen, den Lebensstil anpassen und gezielte Strategien trainieren. Das ist der Weg, der wirklich wirkt. Und ja, er ist anstrengender als ein (teures) Abo für ein Superfood-Pulver. Aber er ist ehrlich, nachhaltig und vor allem wirksam.
Gesundheit entsteht nicht in einer Kapsel
Unsere Leistungsfähigkeit entsteht nicht durch einzelne Vitamine oder Mineralstoffe, sondern durch das Zusammenspiel von Bewegung, Regeneration, Ernährung, Schlaf, sozialer Verbundenheit und mentaler Stärke. Wer regelmässig abschaltet und für Ausgleich sorgt, stärkt nachweislich die Funktionsweise des Gehirns und die Fähigkeit, Stress zu regulieren. Das bestätigen sowohl Studien zur Neuroplastizität als auch Erkenntnisse aus der Stressforschung.
Deshalb lohnt es sich, nicht in Pulver und Tabletten, sondern in gesunde Routinen zu investieren. Bewegung an der frischen Luft, erholsamer Schlaf und bewusste Pausen wirken messbar stärker als jede Wurzelextrakt-Kapsel. Der Körper reagiert auf Regelmässigkeit und Pflege, nicht auf Turbo-Booster.
Was Nahrungsergänzungsmittel meist nicht leisten
Eine ausgewogene Ernährung liefert in der Regel bereits alle wichtigen Nährstoffe. Viele der in Supplementen enthaltenen Stoffe kommen in alltäglichen Lebensmitteln vor. Magnesium findet sich beispielsweise in Nüssen, Vollkornprodukten und grünem Gemüse, Omega-3 in Fisch oder Leinsamen und Vitamin B12 in tierischen Produkten.
Multivitamine: Es gibt keine Beweise dafür, dass sie das Leben verlängern. Einzelne Studien mit älteren Menschen zeigen kleine Vorteile fürs Gedächtnis. Bei Gesunden ohne Mangel bleibt der Nutzen aus. Sie gleichen höchstens kleine Defizite aus.
Ashwagandha und andere sogenannte Adaptogene (pflanzliche Stoffe, die Stress reduzieren sollen): Studien zeigen nur geringe Effekte. Zudem sind die Studien oft klein angelegt und von unterschiedlicher Qualität. Eine klare Aussage für gesunde Menschen ist daher schwierig.
Magnesium: Kann bei Personen mit Mangel oder im höheren Alter leicht helfen, besser zu schlafen. Bei den meisten Gesunden ist die Wirkung aber schwach oder gar nicht nachweisbar.
L-Theanin (ein Stoff aus grünem Tee, oft kombiniert mit Koffein): Kurzfristig kann es die Aufmerksamkeit leicht steigern. Über längere Zeit gibt es aber keine gesicherten Vorteile.
Omega-3-Fettsäuren (zum Beispiel aus Fischöl): Die Ergebnisse sind gemischt. Manche Gruppen, etwa ältere Menschen, profitieren leicht. Für die Mehrheit der Gesunden gilt: keine spürbare Wirkung.
Was wirklich wirkt und nichts oder wenig kostet
Regelmässige Bewegung (vor allem Ausdauertraining): Fördert das Denken und verbessert den Schlaf. Schon zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche im moderaten Pulsbereich zeigen einen messbaren Effekt.
Bewusste Pausen und Reflexion: Wer sich regelmässig echte Auszeiten gönnt, in denen der Kopf abschalten darf, stärkt Konzentration und Belastbarkeit. Das kann bedeuten, Musik zu hören, ein Buch zu lesen oder einfach nur dem Kaminfeuer zuzuschauen, auch wenn es nur auf Youtube läuft.
Langsames Atmen (etwa fünf bis sechs Atemzüge pro Minute): Aktiviert den sogenannten Vagusnerv, der die Entspannung steuert, und senkt Stresswerte im Körper.
Guter Schlaf und feste Routinen: Bleiben der stärkste Einflussfaktor für Leistungsfähigkeit, Stimmung und Energie, ganz ohne Abo oder Zusatzmittel.
Fazit
Die Sehnsucht nach schnellen Lösungen ist menschlich. Doch Gesundheit und Leistungsfähigkeit wachsen nicht aus einem Messlöffel. Wer einmal den Unterschied zwischen Ursache und Wirkung begriffen hat, lässt sich von den Versprechen der Influencer kaum mehr beeindrucken. Denn die wirklichen Gamechanger sind längst bekannt. Sie sind nur nicht so glänzend verpackt.



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